Worauf achten Personalabteilungen wirklich?

Recruiter in Personalabteilungen haben meist den Anspruch, nach objektiven Kriterien auf Basis ihres Anforderungsprofils die besten Kandidaten und Kandidatinnen für eine freie Stelle zu finden. Gelingt das tatsächlich oder sind Entscheidungen manchmal nur subjektives Selektieren? Wie kann Subjektivität eliminiert werden und ist das überhaupt sinnvoll?
Veröffentlicht am 08.05.2023
Worauf achten Personalabteilungen wirklich?

Messbarkeit ist schon länger ein wichtiges Kriterium in Unternehmen, sie hat auch vor Personalabteilungen nicht halt gemacht. Da ist es nur logisch, dass auch die Entscheidung für oder gegen Bewerber möglichst nach messbaren und überprüfbaren Kriterien erfolgen soll. Die Kandidatinnen sollen das Anforderungsprofil zu möglichst 100 Prozent erfüllen. Das aber wird in Zeiten des Fachkräftemangels, durch die sich beschleunigende Digitalisierung und durch sich immer rascher wandelnde Anforderungen schwierig. Die Suche nach Menschen mit perfekt passender Berufserfahrung bei gleichzeitig möglichst großer Offenheit für Neues und Lernwilligkeit gerät zum Kampf um die eierlegende Wollmilchsau. Aber es ist gar nicht so schwer, diese Zwickmühle zu verlassen.

Ein erster Schritt dafür ist, sich vom Anspruch der Objektivität zu verabschieden und sich damit zu beschäftigen, wo im eigenen Recruitingprozess sich subjektive Fallstricke befinden. Es klingt simpel und ist schwer: Nur wer sich eingestehen kann, dass Vorurteile die eigene Beurteilungsfähigkeit trüben, ist in der Lage, mit der Subjektivität umzugehen. Schon Auswahl von Bildern und Gestaltung von Texten für Stellenanzeigen unterliegen subjektiven Prägungen, Ansichten und Erfahrungen. Das wiederholt sich bei der Sichtung von Bewerbungsunterlagen. Dass älteren Männern möglicherweise Defizite in Hinblick auf die aktuellsten Techniken für die ausgeschriebene Stelle unterstellt werden, ist dabei genauso ein Klischee wie jüngeren Frauen mangelnde Durchsetzungsfähigkeit zu unterstellen. Es kann auch genau umgekehrt laufen bei Recruiterinnen und Recruitern, die gendersensible Trainings durchlaufen haben und nun im Bemühen, ihre bisherigen Vorurteile zu vermeiden, neuen erliegen. Ein stark standardisiertes und deshalb objektiv wirkendes Aussortieren der etwas lässigeren Lebensläufe kann dazu führen, dass hochkompetente Menschen, die eher halbherzig wechselwillig sind und sich „nur mal so“ bewerben, ohne allzu viel Zeit und Mühe zu investieren, herausfallen. Oft zugunsten jener, die nach Dutzenden Bewerbungen oder mithilfe von Dienstleistern einen perfekten CV haben. Aber ein bis ins kleinste Detail perfekter Lebenslauf ist eben vor allem ein Beweis dafür, dass eine Person perfekte Lebensläufe schreiben kann, aber keine Garantie dafür, dass diese Person ihre künftigen Aufgaben genauso perfekt erledigen wird. Bei aller demonstrativen Objektivität wird doch häufig entschieden nach Foto, Beziehungen, Sympathie und lückenloser Laufbahn. Aber wenn beispielsweise Beförderungen viel zählen, wird das Potenzial all jener nicht gesehen, die beinahe befördert worden wären und sich deshalb wegbewerben.

Wer sich bewusst macht, dass subjektive Kriterien die eigenen Prozesse und Entscheidungen beeinflussen, hat den ersten Schritt dafür getan, konstruktiv mit dem Bias-Problem im Recruiting umzugehen. Ebenfalls hilfreich kann es sein, möglichst große Teile des Bewerbungsprozesses zu standardisieren und eventuell auch zu anonymisieren. Das erzeugt vergleichbare Entscheidungsgrundlagen, bei denen der subjektive Einfluss minimiert ist. Schließlich sollten auch kleine Personalabteilungen immer versuchen, Bewerbungsgespräche zu zweit oder zu dritt zu führen und auch in die Beurteilung von Unterlagen mehrere Personen einzubeziehen. Idealerweise auch solche, in deren Bereich oder Team die einzustellende Person später arbeiten wird. Im Gespräch sollten Sie standardisierte Fragen stellen. Nahezu perfekt kann es werden, wenn weitere Strukturen im Betrieb auf die Probleme der Subjektivität bei der Einstellung ausgerichtet sind – etwa durch Probearbeit, ein gut organisiertes Onboarding und Offenheit der eigenen Abläufe für neue Impulse. In einer Probezeit können getroffene Entscheidungen, die sich als Fehler erweisen, rückgängig gemacht werden – mit dem Nachteil, dass der Recruiting-Prozess erneut gestartet werden muss. Diesen Nachteil vermeidet eine Probearbeitsaufgabe im Assessment Center. Gutes Onboarding kann erst nach der Einstellung entdeckte Defizite eventuell beheben, bevor die Situation verfestigt ist. Und Offenheit in den betrieblichen Strukturen kann dazu führen, dass aus vermeintlich schwachen Recruiting-Entscheidungen Vorteile entstehen.