Unbegrenzter Urlaub – kann das funktionieren?

In den USA gibt es einzelne Beispiele schon seit 20 Jahren, hierzulande breitet sich ein interessantes Phänomen auch schon seit einigen Jahren aus: Vertrauensurlaub. Wenn Unternehmen ihren Beschäftigten unbegrenzten Urlaub zugestehen – wer arbeitet dann eigentlich noch?
Veröffentlicht am 14.02.2023
Unbegrenzter Urlaub – kann das funktionieren?

20 Tage – so lange dauert der gesetzliche Urlaub in Deutschland. Bei fünf Arbeitstagen entspricht das vier Wochen. Allerdings genießen die meisten Beschäftigten mehr Urlaub, laut Statistischem Bundesamt waren es 2018 in den meisten Branchen 28 Tage Urlaub, in der Land- und Forstwirtschaft allerdings nur 24. Einen gänzlich entgegengesetzten Weg gehen immer mehr Firmen, nicht nur aus dem IT-Sektor oder junge Startups. Sie gewähren ihren Beschäftigten Vertrauensurlaub nach der Devise: Mach soviel frei wie du willst. Laut einer im Magazin „Der Spiegel“ zitierten Auswertung warben 2018 an die 130 Unternehmen mit unbegrenzten Urlaubstagen. Im Zuge der Tendenz zu New Work und einer besseren Work-Life-Balance, alles im Kampf um die raren Beschäftigten und den Fachkräftenachwuchs, dürfte der Trend seither weitergegangen sein. Im Sommer 2022 machten beispielsweise Meldungen die Runde, dass 300 Stellen mit „Vertrauensurlaub“ ausgeschrieben seien, eine Zunahme gegenüber 2019 um 260 Prozent – wenn auch auf niedrigem Niveau. Kann das gut gehen?

Was auf den ersten Blick nach einem Traum für die Belegschaft und einem Alptraum für das Unternehmen klingt, offenbart bei genauerem Hinsehen etliche Überraschungen und Fallstricke. So gibt es in den USA, wo bei Tech-Unternehmen wie etwa Netflix oder Dropbox und bei vielen Startups schon sehr viel länger als hier mit unbegrenztem Urlaub experimentiert wird, offenbar schon wieder eine Abkehr davon. Und zwar nicht deshalb, weil die Büros leer wären und die Belegschaft im Kollektivurlaub, sondern umgekehrt: Beschäftigte machen weniger Urlaub. Das hängt zusammen mit einer großen Unsicherheit, wie viel Urlaub angemessen wäre. In Deutschland könnten Unternehmen mit so einem Verhalten Probleme bekommen, wenn Beschäftigte selbst den gesetzlichen Urlaub unterschreiten. Dann könnte das Thema Sorgfaltspflicht aufkommen, aber auch nachträgliches Verlangen, den nicht genommenen Urlaub nun doch zu nehmen, wenn es beispielsweise zu Ärger kommt. Und nicht zu vergessen: Sinn und Zweck von Urlaub ist Erholung für die Beschäftigten und Unternehmen profitieren davon – den völlig überarbeitete Belegschaften machen mehr Fehler und arbeiten schlechter.

Vertrauensurlaub kann für Unternehmen eine gute Strategie sein, ihre Belegschaft zu motivieren und sich bei der Werbung um Fachkräfte zu positionieren. Aber es gilt, sich gründlich mit Stolperfallen zu beschäftigen. Dazu gehört vor allem, den gesetzlichen Urlaubsanspruch im Arbeitsvertrag vom Vertrauensurlaub zu trennen. Es sollte festgelegt werden, dass auch bei unbegrenztem Urlaub dieser genehmigt werden muss und eine Zustimmung davon abhängt, dass die Arbeit im Team nicht gefährdet wird. Das zu regeln dem Team selbst zu überlassen birgt Risiken, denn Beschäftigte mit einer schwächeren Position könnten leicht untergehen. Es ist auch nicht verkehrt, einen Orientierungsrahmen vorzugeben und/oder Durchschnittswerte zu kommunizieren, eben um Unsicherheit in der Belegschaft zu vermeiden.

Zudem sollte der unbegrenzte Urlaub nicht in der Probezeit, nach der Kündigung und nicht im direkten Anschluss an längere Fehlzeiten aus Gründen wie Krankheit oder Kinderzeiten gewährt werden, weil das zu großen Ungleichheiten in der Belegschaft führen kann. Ferner ist es angeraten, von vornherein Wege zu etablieren, auf denen Konflikte gelöst werden können. Und auch wenn der Wegfall mancher administrativer Tätigkeiten durch unbegrenzten Urlaub möglich scheint, sollte doch der genommene Urlaub dokumentiert werden. Außerdem kann es sinnvoll sein, die Zahl der Urlaubstage, die am Stück genommen werden dürfen, zu begrenzen. Auch kann je Abteilung oder Team eine Mindestzahl an Beschäftigten festgelegt werden, die anwesend sein müssen. Oder es kann eine klare und nachvollziehbare Koppelung des Urlaubs an das Erreichen bestimmte Ziele oder das Erledigen bestimmter Aufgaben/Projekte gekoppelt werden. Mit solchen oder anderen, jedenfalls mit den angemessenen Absicherungsregel, kann Vertrauensurlaub durchaus funktionieren.