Die psychologischen Bedürfnisse der Belegschaft erkennen und nutzen

Gute Arbeitsbedingungen und guter Lohn reichen nicht, um Beschäftigte zu motivieren. Vielmehr sollten Unternehmen auf die psychologischen Bedürfnisse ihrer Angestellten eingehen. Das rät der CEO eines der größten deutschen IT-Unternehmen, um den Erfolg in der aktuellen wirtschaftlichen Transformation sicher zu stellen.
Veröffentlicht am 23.03.2023
Die psychologischen Bedürfnisse der Belegschaft erkennen und nutzen

Sanjay Brahmawar ist CEO der Software AG aus Darmstadt, die mit mehr als 5000 Beschäftigten zu den weltweit führenden IT-Unternehmen gehört. Die Software AG gehört zu den Weltmarktführern bei Software für Unternehmensprozesse. Nach Ansicht von Brahmawar, die Ende 2022 in einem Beitrag für das HR-Journal dargelegt hat, sind in Zeiten des Fachkräftemangels und der Transformation der gesamten Wirtschaft Personalfragen und die Gewinnung des passenden Fachpersonals entscheidende Faktoren für den unternehmerischen Erfolg. Deshalb dürften diese nicht ausschließlich der Personalabteilung überlassen bleiben, vielmehr solle sich das gesamte Unternehmen und insbesondere das Führungspersonal danach ausrichten, die psychologischen Grundbedürfnisse der Beschäftigten zu erfüllen.

Denn ein enorm hoher Anteil der Belegschaften haben nur eine ungenügende oder keine innere Bindung an das Unternehmen. Sie fühlen sich ausgebrannt, machen Dienst nach Vorschrift, haben innerlich gekündigt – und all das kann auch rasch zur tatsächlichen Kündigung führen. Brahmawar verweist auf Studien und Befragungen beispielsweise von Microsoft, McKinsey oder den Marktforschern bei Gallup, die seine Problemanalyse stützen und hohe Schäden für Unternehmen und Volkswirtschaft daraus errechnen. Als Gegenmittel setzt Brahmawar darauf, dass zufriedene Beschäftigte diese Probleme vermeiden helfen. Zufriedenheit, so der Top-Manager, entstehe aber nicht alleine aus Lohnerhöhungen, dem Recht auf Homeoffice oder Benefits zur Mitarbeitermotivation wie etwa Vergünstigungen und Teamevents oder einer angenehme Arbeitsumgebung.

Denn, so Brahmawar, häufig reichten die Gründe für Unzufriedenheit und mangelnde Motivation viel tiefer und daher müsse man die psychologischen Bedürfnisse der Belegschaft in den Fokus rücken. Es sei bereits seit den 1980er Jahren gut erforscht, dass Beschäftigte gerne in einer kompetenten Umgebung selbstständig und mit einem hohen Maß an Autonomie ihre eigenen Kompetenzen einbringen und sich dabei ihrem Unternehmen verbunden fühlen wollen. Die Bedürfnisse Kompetenz, Autonomie und Verbundenheit zu bedienen erreichen die Führungskräfte von Unternehmen dann, wenn sie ein echtes Interesse an und Engagement für ihre Beschäftigten entwickeln. Das sei möglich, wenn Unternehmen, Führungsebenen und Belegschaft die Chance haben, sich ständig weiterentwickeln zu können. Wenn eine Kultur der echten Delegation von Aufgaben Beschäftigte dazu bringt, sich aktiv und motiviert einzubringen. Und wenn die Führungskräfte in der Lage sind, durch wirkliche Kommunikation eine echte Verbundenheit der Belegschaft mit dem Unternehmen zu erzeugen.

Dessen ungeachtet, dass Brahmawar und seine Software AG kein Teil des Agrarbusiness sind – auch wenn in großen Betrieben der Branche sicherlich Installationen von Programmen aus Darmstadt zu finden sein werden – sollten sich auch Führungskräfte aus dem Agrobusiness ruhig Gedanken über diese Thesen machen. Die sind ja auch nicht wirklich neu – die guten Effekte von Belegschaften mit hoher intrinsischer Motivation und von Unternehmen mit einer mitarbeiterzentrierten Personal- und Führungskultur sind schon seit etlichen Jahren belegt. Aber dennoch nicht überall umgesetzt. Schon 2004 belegte eine Studie empirisch, dass eine an der Belegschaft orientierte Unternehmensführung auf mittlere und lange Sicht zu mehr Gewinn, höherem Engagement, geringerer Fluktuation und weniger Krankheitstagen führt. Selbst die Kundenreputation verbessere sich, weil zufriedene und motivierte Beschäftigte ihr Unternehmen nach außen auch besser repräsentieren.

Julie Battilana und Tiziana Casciaro geben auf der Wissensplattform der privaten Wirtschaftshochschule International Institute for Management Development in Lausanne Informationen dazu, wie Führungskräfte die Bedürfnisse ihrer Teams kennenlernen und verstehen können. Ihre Antwort ist recht einfach, zumindest auf den ersten Blick: Das Management müsse herausfinden, was ihren Beschäftigten wichtig ist und diese dazu verstehen. Die grundlegende Voraussetzung dafür: Die Beschäftigten wirklich kennenlernen, sich für sie interessieren und echte Kommunikation ermöglichen. Battilana und Casciaro konzentrieren die psychologischen Grundbedürfnisse auf die beiden Kernfaktoren Sicherheit und Selbstbestimmung. Um diese zu erreichen gebe es einige zentrale Ressourcen, die Unternehmen ihren Beschäftigten zukommen lassen sollten. Neben materiellen Dingen – also den klassischen Anreizen wie Geld, Dienstwagen, Auszeichnungen oder auch Privilegien wie Eckbüro usw. – erwähnen die beiden Autorinnen ganz ähnliche Punkte wie auch CEO Brahmawar: Kompetenz, Beziehungen zu anderen, Autonomie, Moral. Ratschläge und Hinweise, wie sich Führungskräfte hier verbessern können, geben Battilana und Casciaro in ihrem 2022 auf Deutsch erschienenen Buch „Power for All – Wie Macht funktioniert, wie sie uns nützt und weshalb das alle etwas angeht“

 

Artikel „The power of understanding the needs of others“ von Julie Battilana und Tiziana Casciaro https://www.imd.org/ibyimd/magazine/the-power-of-understanding-the-needs-of-others/