Zuneigung nicht erforderlich

Den Chef als „Verbrecher“ zu bezeichnen – das führt doch zur Kündigung! Nein, so klar ist die Rechtslage nicht. Was wann als Beleidigung zu werten ist, beschäftigt Arbeitsgerichte ständig. Ein Feld voller Stolperfallen für Beschäftigte und Unternehmen.
Veröffentlicht am 14.06.2023
Zuneigung nicht erforderlich

„Ich setze mich nicht mit Verbrechern an einen Tisch“, so ähnlich soll sich ein Beschäftigter gegenüber einem Kollegen über die – nicht anwesende – Geschäftsführung des Unternehmens geäußert haben. Anlass war eine Einladung zur Weihnachtsfeier. Der Kollege überbrachte die Äußerung dem Arbeitgeber, der daraufhin eine Kündigung aussprach. Die war aber nicht gerechtfertigt, hat das Landesarbeitsgericht Köln entschieden (Az. 11 Sa 995/96). Für die Entscheidung spielte es keine Rolle, was genau gesagt wurde. Der Gekündigte behauptete, er habe Gauner gesagt. So oder so gebe es keinen Tatsachenhintergrund für beide Begriffe, folglich war es keine unwahre Tatsachenbehauptung sondern „nur“ eine Beleidigung durch ein Schimpfwort. Und das rechtfertigt, anders als oft von Arbeitgeber wie Beschäftigten angenommen, nicht automatisch die Kündigung. Denn in erster Linie schulden Beschäftigte ihrem Arbeitgeber eine korrekte Arbeitsleistung, darauf weist Prof. Dr. Arnd Diringer, Leiter der Forschungsstelle für Arbeitsrecht an der Hochschule Ludwigsburg in einem jüngst im Expertenforum Arbeitsrecht erschienenen Beitrag hin.

Natürlich lassen sich die meisten Menschen sich nicht gerne als Verbrecher oder Gauner bezeichnen. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht in seinem Urteil festgestellt: „Der Arbeitnehmer ist aber rechtlich nicht verpflichtet, Zuneigung zu seinem Arbeitgeber zu empfinden auch nicht, gegenüber Dritten seine Abneigung zu verbergen, jedenfalls dann nicht, wenn er durch die Frage des Dritten nach den Beweggründen seines Handels in Erklärungsnotstand gerät. Dem Kläger wäre also allenfalls vorzuwerfen, dass er den Hinweis auf seine Abneigung nicht in vorsichtigere Worte gekleidet hat. Ein Fehlgriff im Ausdruck kann aber ohne Abmahnung nicht gleich den Arbeitsplatz kosten. Derartige verbale Entgleisungen mögen eine Geschmacklosigkeit sein, nicht aber eine grobe Beleidigung. Unter einer groben Beleidigung ist nur eine besonders schwere und kränkende Beleidigung zu verstehen, d.h. eine bewusste und gewollte Ehrenkränkung aus gehässigen Motiven.“

Eine Abmahnung wäre die zulässige Sanktion gewesen. Bei wiederholten Vorfällen oder wenn bereits früher eine Abmahnung ausgesprochen worden wäre, sähe die Lage wohl anders aus. Zudem ist die Beleidigung nicht direkt gefallen, sondern durch eine dritte Person gemeldet worden – ein Umstand, mit dem Beschäftigte üblicherweise nicht rechnen müssen, so das Gericht. Deshalb sind außerordentliche Kündigungen wegen Beleidigungen, die in privaten oder kollegialen Gesprächen getätigt wurden und erst nachträglich der Führungskraft zur Kenntnis gebracht werden („verpetzen“) in der Regel nicht zulässig. Im Gegenteil hat das Bundesarbeitsgericht bereits 1965 festgestellt, dass solches denunziatorisches Verhalten selbst ein Kündigungsgrund sein kann.

Grundsätzlich, da herrscht bei vielen Juristinnen und Juristen Übereinstimmung, rechtfertigen höchstens grobe Beleidigungen eine außerordentliche Kündigung, einfache Beleidigungen hingegen nur eine ordentliche. Grundsätzlich wird dazu geraten, immer die Umstände zu beachten. Dazu gehören etwa der übliche Umgangston im Betrieb, die psychische und soziale Lage der gekündigten Beschäftigten, eventuelle Provokationen oder Reizungen im Vorfeld sowie die Gesprächssituation. Beispielsweise dürfen Beleidigungen, die im Rahmen von heimlich durchgeführten Überwachungen von Telefongesprächen, Emails oder Arbeitsräumen festgestellt werden, nicht als Kündigungsgrund verwendet werden – eben weil die Beschäftigten davon ausgehen dürfen, dass ihre Kommunikation in einem vertraulichen und geschützten Raum stattgefunden hat (LAG Frankfurt am Main Az.: 2 Sa 879/01).

Fazit: Sicherlich sollten Beleidigungen am Arbeitsplatz nicht vorkommen. Geschieht es doch, kann das Sanktionen nach sich ziehen. Eine Kündigung, zumal eine außerordentliche, ist aber kein Automatismus. Selbst bei der Benutzung von Begriffen wie „Arschloch“, „faules Schwein“, „Rassistenarschloch“ oder „blöder/alter Sack“ haben Gerichte geurteilt, dass eine Kündigung keine angemessene Reaktion ist. Beschäftigte wie Arbeitgeber sollten also in erster Linie ohne gegenseitige Beleidigungen auskommen, aber wenn es doch passiert ist, möglichst ruhigen Kopf behalten. Und nicht ohne juristische Beratung agieren.