Kommt die Vier-Tage-Woche?

Digitalisierung, Corona und neue Prioritäten beim Fachkräftenachwuchs verändern die Arbeitswelt. Die Vier-Tage-Woche ist ein zunehmend diskutiertes Modell. Was bringt es für Angestellte und Unternehmen, welche Fallstricke lauern?
Veröffentlicht am 21.02.2023
Kommt die Vier-Tage-Woche?

Belgien hat es getan: Dort gibt es seit November 2022 den gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf eine Vier-Tage-Woche. Beschäftigte dürfen ihre vertragliche Arbeitszeit auf vier Tage konzentrieren. Sie können aber auch an jeweils vier Tagen soviel arbeiten wie zuvor an einem Tag – mit dieser Arbeitszeitverkürzung geht beim belgischen Modell dann eine Gehaltskürzung einher. In den USA und anderen angloamerikanischen Ländern gab es 2022 große Versuche mit einer Vier-Tage-Woche, in Island bereits 2015 und 2017. Die IG Metall hat 2021 eine entsprechende Regelung in Tarifverträgen vereinbart, für Unternehmen im Umbruch. Und auch deutsche Unternehmen machen mit innovativen Arbeitsorganisationsmodellen auf sich aufmerksam, auch mit verkürzten Arbeitswochen. Rechtlich gesehen ist das unproblematisch, denn die gesetzliche Höchstarbeitszeit pro Tag beträgt zehn Stunden – vier mal zehn sind ebenso 40 Stunden wie acht Stunden an fünf Tagen.

Was spricht dafür?

Mehr Arbeitszeit ist nicht gleichbedeutend mit mehr Produktivität. Wir alle wissen, dass viele Beschäftigte am Nachmittag oder Freitag alles ruhiger angehen lassen. Es gibt starke Indizien dafür, dass drei statt zwei Tage Erholung pro Woche bei der Belegschaft an den verbleibenden vier Tagen zu höherer Motivation und Konzentration führen. Davon können Unternehmen profitieren, wenn die Produktivität steigt. Beschäftigten bietet eine Vier-Tage-Woche viele Vorteile: Aufgaben wie etwa Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, auch Alltagskram wie Behörden- oder Arztbesuche und Einkäufe sind mit Vier-Tage-Woche leichter zu organisieren, auch ein Kurzurlaub ist lohnender. Und es wird weniger Lebenszeit auf dem Weg zur Arbeit vergeudet. Eine Umfrage unter fast 3900 Beschäftigten in Deutschland 2022 zeigte: 63 Prozent wollen die Vier-Tage-Woche bei gleichem Lohn, 14 Prozent sogar bei Lohnabschlag und nur 17 Prozent sagen dazu „Nein“.

Unternehmen kann die Vier-Tage-Woche beim Recruiting helfen, weil viele Beschäftigte dieses Arbeitszeitmodell attraktiv finden und das ein echter Pluspunkt im Kampf um die knappen Fachkräfte sein kann. Microsoft hat in Japan 2019 laut Wikipedia eine Steigerung der Produktivität um 40 Prozent und eine Reduzierung der Stromkosten um 23 Prozent nach Einführung der Vier-Tage-Woche bilanziert. Selbst wenn in einem produzierenden Betrieb solche Produktivitätssteigerungen eher unwahrscheinlich sein dürften, wäre eine Reduzierung der Energiekosten um rund ein Viertel bei gleich bleibender oder leicht steigender/sinkender Produktivität ein starkes Argument. Anderes Gedankenmodell: Wenn die Stamm-Belegschaft eine Vier-Tage-Woche ohne oder mit höchstens geringen Produktivitätseinbußen, im besten Fall sogar mit leichten Gewinnen hat, könnten die Produktionsanlagen am fünften Tag mit Teilzeitkräften genutzt werden und der Gesamtausstoß steigen. Bei einem internationalen Pilotprojekt der Initiative 4 Days Week Global, an dem sich 33 Unternehmen (USA und Kanada, Groß-Britannien und Irland, Australien und Neuseeland) mit rund 1000 Beschäftigten beteiligten, sank die Zahl der Krankentage. Gestiegen sind dagegen Produktivität und Umsatz. Und das sogar bei einer Arbeitszeitreduzierung ohne Lohnkürzung.

Was spricht dagegen?

Zuerst sicherlich, dass zehn Stunden eine lange Zeit sind. Je nach Arbeitsplatzprofil kann die geistige wie die körperliche Erschöpfung deutlich steigen. Hier kann es helfen, den Arbeitstag neu zu strukturieren, etwa strikt zwischen fordernden und Routineaufgaben zu trennen und alle Aufgaben, die wenig fordernd sind, nach hinten zu schieben in den Teil des Tages, an dem die Erschöpfung zunimmt. Beschäftigte, die zehn Stunden arbeiten und eine Stunde Pendelstrecke haben, sind dann zwölf Stunden von zuhause weg – das kann sich nachteilig auf die Beziehungen zum/r Partner:in oder den Kindern auswirken, die schnelle Laufrunde oder das Kicken nach Feierabend erschweren.

Für Unternehmen erzeugt die Vier-Tage-Woche einen umsatzfreien Tag mehr – hier wäre die Lösung einfach, indem jeweils nur Teile der Belegschaft Montags oder Freitags frei bekommen und so die Produktion weiter fünf Tage laufen kann. Eine geringere Flexibilität kann zum Nachteil werden, denn wenn der Arbeitstag zehn Stunden hat, ist keinerlei Überziehung mehr möglich. Schon eine Überminute verstieße gegen das Arbeitszeitgesetz und wäre eine mit Bußgeld belegte Ordnungswidrigkeit. Überstunden können höchstens an einem der drei freien Tage gemacht werden. Denn die gesetzliche Wochenarbeitszeit liegt bei maximal 48 Stunden.