Früher in Rente oder länger arbeiten?

Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Rente mit 63 abschaffen, so ging es durch die Medien. Obwohl – oder weil? - diese ein großer Erfolg ist? Denn der Andrang ist groß, gleichzeitig zeigen Statistiken: wir arbeiten immer länger. Wie ist die Lage bei der Beschäftigung älterer Menschen und was hat sie mit dem Fachkräftemangel zu tun?
Veröffentlicht am 16.08.2023
Früher in Rente oder länger arbeiten?

Möglicherweise steht uns, spätestens zur nächsten Bundestagswahl, erneut eine Rentendiskussion ins Haus. Das Thema poppt derzeit wieder öfter in Diskussionen und den Medien auf. Ende letzten Jahres zeigte ein Zeitungsbericht unter Berufung auf aktuelle Zahlen der Deutschen Rentenversicherung, dass die Rente mit 63 ein großer Erfolg ist. Demnach haben bis zum Sommer 2022 bereits fast zwei Millionen Menschen die frühe Rente beantragt. Fast 400.000 mehr als bei ihrer Einführung 2014 prognostiziert. Ein gutes Viertel der Neurentner seien 2022 im Zuge der abschlagsfreien Rente mit 63 – bei 45 Beitragsjahren – in Rente gegangen.

Was sich hier zeigt, sind Babyboomer-Jahrgänge, die nun massiv ins Rentenalter kommen. Auch die älteren Jahrgänge, die kurz vor der Rente stehen, können offenbar besseres mit ihrer Zeit anfangen als zu arbeiten. Laut einer Umfrage des Demographie-Netzwerks aus dem Herbst 2022 würde mehr als die Hälfte der deutschen Beschäftigten gerne schon mit 62 oder noch früher aufhören zu arbeiten. Bis 67 zu arbeiten, was schrittweise bis 2031 eingeführt wird, wollen nur knapp elf Prozent. Nicht nur die jungen Beschäftigten definieren sich nicht mehr ausschließlich oder vorwiegend über die Arbeit, die Älteren stimmen einfach mit den Füßen ab.

Andererseits: Das durchschnittliche Renteneintrittsalter deutscher Beschäftigter hat sich von 62,1 Jahre (1997) auf 64,3 Jahre (2019) in den vergangenen gut 20 Jahren um rund drei Jahre erhöht. Seither sinkt es leicht auf 64,1 Jahre (2021), so Daten der Rentenversicherung. Und das statistische Bundesamt teilt mit: „Die Erwerbs­beteiligung der 60- bis 64-Jährigen nahm so stark zu wie in keiner anderen Alters­gruppe: Sie hat sich in den letzten zehn Jahren von 44 Prozent (2011) auf 61  Prozent (2021) gesteigert.“ Und das gilt selbst nach der klassischen Altersgrenze von 65 Jahren. 2011 habe der Anteil der Menschen zwischen 65 und 69, die noch arbeiten, bei zehn Prozent gelegen, 2021 bereits bei 17 Prozent. Insbesondere Menschen mit einer hohe Qualifikation seien durchaus auch im Alter über 65 noch im Arbeitsmarkt aktiv.

Welche Konsequenzen haben diese scheinbar gegensätzlichen Trends für Unternehmen im Agrarsektor? Wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch sind sie gut beraten, sich um ihre alternden Beschäftigten zu kümmern, um Engpässe bei Fachkräften abzumildern. Denn es kommen nicht nur immer wenige Junge nach, sondern es gibt auch starke Anzeichen dafür, dass die Älteren beschleunigt ausscheiden. Die Rente mit 63 ist für alle attraktiv, die lange eingezahlt und schwere Tätigkeiten ausgeübt haben. Dagegen kann die Statistik mit dem steigenden Anteil der Beschäftigten, die nach der Rentengrenze immer noch arbeiten, Betrieben Hoffnung machen. Allerdings gilt hier ebenso wie beim Fachkräftenachwuchs, dass sich die Beschäftigten ihres steigenden Wertes auf dem Arbeitsmarkt immer bewusster sind.

Natürlich kann kein Unternehmen darauf verzichten, junge Fachkräfte anzuwerben und zu halten. Denn diese arbeiten potenziell noch sehr lange im Betrieb und bringen zudem auch den neuesten Stand des Wissens mit. Aber darüber sollten Firmen nicht den älteren Teil ihrer Belegschaft vernachlässigen. Die noch allzu oft anzutreffende Einstellung, dass es sich nicht lohne, in Beschäftigte zu investieren, die älter sind als 50, sollte schleunigst entsorgt werden. Mit jedem Rentner und jeder Rentnerin verlieren Unternehmen Fachwissen, Erfahrung, Routine und Arbeitskraft. Wer hingegen auch Älteren noch Fortbildungen ermöglicht, Arbeitsplätze, -zeiten und -bedingungen altersfreundlich gestaltet und attraktive Teilzeitmöglichkeiten anbietet, hat bessere Chancen, die Senioren und ihr Wissen länger an den Betrieb zu binden. Und damit auch den Fachkräftemangel zu dämpfen. Zumal gerade Teilzeitmodelle sowohl für jüngere wie für ältere Beschäftigte attraktiv sind.