Drum prüfe...

"Blind Signing" ist das übereilte Unterschreiben von Arbeitsverträgen - was sind die Ursachen und was hilft dagegen?
Veröffentlicht am 25.04.2023
Drum prüfe...

Da hat jemand einen echten Treffer gelandet: Vom Blog eines Karrierecoaches in die Wirtschafts- und Ratgeberseiten großer und bekannter Medienmarken hat der Begriff „Blind Signing“ nur wenige Tage und Wochen gebraucht. Was ist dran an der Thematik?

Immer öfter kommen Leute zu einem Karrierecoach in Köln, weil sie voreilig einen Arbeitsvertrag unterzeichnet haben, sich im neuen Job aber nicht wohl fühlen. Das berichtet der Coach Mitte November auf seinem Blog. Noch nie seien ihm so viele Fehlentscheidungen beim Jobwechsel untergekommen wie in den letzten Wochen, heißt es weiter. Nach seiner Analyse gebe es drei Punkte, die immer wieder auftauchen: Zu stark gestraffte Recruiting-Prozesse, Bewerber und Bewerberinnen, die Angst vor Lücken im Lebenslauf haben sowie drittens Vorstellungsgespräche, die zu oberflächlich verlaufen.

Dass bei dem Coach vermehrt solche Fälle aufgetaucht sind, darf nicht mit einem echten Trend gleichgesetzt werden, sondern ist als Einzelbeobachtung zu werten mit einer Datenbasis, die gewiss nicht repräsentativ sein kann. Das sind hingegen Daten der Arbeitsagentur, die einen Fluktuationskoeffizienten berechnet. Dafür werden der Bestand an Beschäftigungsverhältnissen in Relation zu begonnenen und beendeten Arbeitsverträgen gesetzt und siehe da: Von 2005 bis 2021 liegt dieser Wert zwischen 28,3 und 31,7 – eine eher enge Schwankungsbreite für so einen langen Zeitraum. Während der Corona-Pandemie ist die Fluktuation auf Werte unter 30 zurückgegangen, nachdem sie 2017 bis 2019 jeweils über 31 lag – logisch, weil Menschen wie Unternehmen in Krisenperioden vermehrt auf Sicherheit und Stabilität setzen und deshalb nicht voreilig Arbeitsplätze gewechselt werden. Deshalb wäre es auch nicht verwunderlich, wenn der Fluktuationskoeffizient für 2022 gestiegen wäre und auch mehr solcher Fälle bei Karrierecoaches aufschlagen. Aber so ein deutlicher Trend, wie die rasche Verbreitung des Schlagwortes „Blind Signing“ signalisiert, dürfte sich nicht zeigen.

Trotzdem ist das Buzzwort einen näheren Blick wert, denn nicht ausreichend überdachte neue Arbeitsverhältnisse können perspektivisch tatsächlich problematisch werden. Probleme lauern dabei für Beschäftigte wie für Unternehmen, allerdings nicht im gleichen Maße. Fachkräftemangel, Digitalisierung und Homeoffice können zu vorschnellen und im Ergebnis schlechten neuen Arbeitsverhältnissen führen. Mangel an Fachkräften kann Unternehmen dazu verleiten, die Kriterien für Einstellungen zu senken. Das kann eine angemessene Strategie sein, um mehr Nachschub von Fachkräften zu bekommen, darf aber nicht dazu führen, dass Menschen eingestellt werden, die selbst mit Unterstützung die ihnen zugedachte Aufgabe niemals zufriedenstellend werden erfüllen können. Die Kombination aus Homeoffice und Digitalisierung, mit Vorstellungsgesprächen per Video-Konferenz und Einladungen dazu auf Basis von Profilen bei Xing oder LinkedIn kann ebenso dazu beitragen, dass Unternehmen auf der einen Seite sowie Bewerberinnen und Bewerber auf der anderen sich vor Vertragsschluss nicht ausreichend kennen lernen.

Beschäftigte müssen allerdings weniger Sorgen haben, einen Arbeitsvertrag vorschnell zu unterschreiben, denn für viele Qualifikationen ist der Arbeitsmarkt längst Beschäftigten-freundlich. Eine Kündigung in der Probezeit ist problemlos und einen neuen Job zu finden oft auch. Erst wenn drei oder mehr rasche Jobwechsel im Lebenslauf auftauchen, und die gar noch kurz hintereinander, wird es wirklich problematisch. Davon abgesehen macht aber ein vorschneller Wechsel auf eine dann doch nicht passende Stelle natürlich auch den Beschäftigten Mühe, Stress und ist stets mit einem gewissen Risiko verbunden. Mehr Probleme bereiten schlecht passende Neueinstellungen den Unternehmen, denn hier entstehen hohe Kosten: für den Recruiting-Prozess, für die Einarbeitungsphase, durch Umsatzverluste bei zu hoher Fluktuation, die auch schlecht für die Reputation ist.

Ergo: Drum prüfe, wer sich ewig bindet, lautet das bekannte Zitat von Schiller. Auch wenn Unternehmen und Beschäftigte sich nicht „ewig“ binden – prüfen sollten sie schon, ob sie wirklich zueinander passen.

 

Quelle: https://www.bernd-slaghuis.de/bewerbung/blind-signing/