Boreout: Unterforderung im Job

Burnout ist ein schon seit Jahrzehnten bekanntes und mittlerweile auch breit anerkanntes Phänomen: Überforderung im Job, die krank macht. Die unbekannte Schwester heißt Boreout – wenn Menschen so wenig gefordert werden im Beruf, dass sie sich massiv langweilen, kann das auf Dauer ebenso krank machen.
Veröffentlicht am 23.09.2021
Boreout: Unterforderung im Job

Erst 2007 hat das Phänomen Boreout seinen Namen bekommen und ist damit noch recht neu und wenig bekannt. Jahre später dann gab es Befragungen dazu: Die britischen Marktforscher von Yougov stellten 2015 fest, dass 37 Prozent aller Briten ihre Arbeit als sinnlos empfanden und weitere 11 Prozent nicht sicher waren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass lediglich 52 Prozent absolut sicher waren, zischen 9 und 17 Uhr etwas sinnvolles zu tun. Ein Jahre später gaben in einer Studie des DGB 32 Prozent der Befragten an, ihre Arbeit leiste keinen wesentlichen Beitrag zur Gesellschaft – Bullshit-Jobs wird das gerne genannt. 2017 befragte Personalberater Robert Half deutscher Manager. 56 Prozent gaben an, dass die Angestellten in ihrem Unternehmen sich bis zu acht Stunden in der Woche langweilten – ein kompletter Arbeitstag. Zugleich stellen sie sich damit auch ein schlechtes Zeugnis aus, denn Boreout ist immer auch eine Frage guter Führung. Robert Half rät dazu, beispielsweise Routineaufgaben regelmäßig neu zu verteilen, Beschäftigten zunehmen mehr Verantwortung zu geben und eigenverantwortliches sowie lösungsorientiertes Arbeiten zu unterstützen.

Teufelskreislauf Boreout: Im Unterschied zum mittlerweile überwiegend anerkannten Burnout treffen Boreout-Betroffene oft auf Unverständnis. Kollegen und Bekannten äußern oft sogar Neid, weil deren Standardklage ja eher über den hohen Stress-Level im Job geht. Wer dann in der Mittagspause oder bei abendlicher Geselligkeit sagt, dass die Arbeit des Tages oft schon am Vormittag erledigt ist und danach das große Problem darin besteht, eine Aufgabe zu finden oder so zu tun, als sei man beschäftigt, erntet selten Verständnis. Häufig schämen sich Betroffene oder fühlen sich schuldig, wenn sie nichts zu tun haben, während alle anderen rundherum in zig Projekten stecken. Oft sind Arbeit oder Strukturen aber so organisiert, dass man nicht so ohne weiteres anderen etwas abnehmen kann – hier kommt wieder die Verantwortung der Führungskräfte ins Spiel. Paradoxerweise reagieren viele Menschen dann mit Strategien, die sie sehr beschäftigt erscheinen lassen wie etwa Aufgaben absichtlich in die Länge ziehen, stundenlangem Internetsurfen, manche machen sogar Überstunden. Was aber nur dazu führt, dass Sie nicht mehr Aufgaben bekommen.

Symptome für Boreout: Chronische berufliche Langeweile und Unterforderung können ebenso krank machen wie Dauerstress, sagt Dr. Ursula Marschall, leitende Medizinerin bei der Krankenkasse Barmer: „Die gesundheitlichen Folgen der Unterforderung ähneln denen bei Überforderung und reichen von Schlaflosigkeit über Magen- und Kopfschmerzen bis hin zu Muskelzucken und Rückenproblemen,“ so Marschall. Boreout kann zu heftigen körperlichen Reaktionen führen: Nervosität, chronische Übermüdung, alle klassischen Stress-Symptome, Erschöpfung, Interessenverlust, Schlafstörungen, Panikattacken, sozialer Rückzug und Appetitverlust sind möglich. Das sind Symptome, die auch beim Burnout auftreten und tatsächlich kann ein Boreout genau dazu führen. Selbst das Immunsystem wird irgendwann in Mitleidenschaft gezogen, das kann beispielsweise zu Hautausschlägen führen und generell zu häufigerer Erkrankung.

So können Führungskräfte Boreout erkennen:

• Lustlosigkeit, Desinteresse, Isolation, wenig Motivation, Konzentrationsmängel

• Beschäftigte wirken müde, „ausgebrannt“, sind weniger belastbar und oft gereizt, bis hin zu Konflikten

• Leistungsfähigkeit sinkt, Aufgaben werden langsamer als üblich erledigt

• Während der Arbeitszeit werden im übertrieben hohen Maß private Angelegenheiten erledigt, im Internet gesurft oder ähnliche arbeitsfremde Aufgaben ausgeübt

• Symptome innerer Kündigung, etwa keine Rückfragen zu stellen, obwohl etwas nicht verstanden wurde oder Dienst nach Vorschrift, steigende Fehlzeiten

Aber Achtung mit der vorschnellen Laien-Diagnose: jedes der obigen Phänomene kann aus vielerlei Gründen einmal auftreten. Alle Menschen haben bessere und schlechtere Tage. Wenn aber diese Phänomene gehäuft und erst recht über längere Zeit festgestellt werden, sollte darüber nachgedacht werden, ob sich ein Boreout, Burnout oder ein anderes Problem dahinter verbirgt und welche Maßnahmen Unternehmen wie Mitarbeiter helfen können. Oft haben Führungskräfte es schwer, Überlastung festzustellen und es ist meist noch schwerer, Unterforderung zu bemerken – zumal wenn Beschäftigte in den beschriebenen Teufelskreis geraten. Es hilft aber generell, wenn beispielsweise im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements psychische Erkrankungen und Probleme berücksichtigt werden. Und es erleichtert den Betroffenen, sich zu offenbaren, wenn im Betrieb und im Team ein achtsamer Umgangston herrscht, in dem gerade von den Führungskräften immer wieder klargestellt wird, dass solche Probleme angesprochen werden können, ohne Nachteile befürchten zu müssen.

Wie kann ein Boreout beendet werden? Um die Unterforderung zu beenden, bevor es zum Bore- oder gar Burnout kommt, sollten Betroffene zuerst die Vorgesetzten eingebunden werden. Auch wenn es schwer fallen mag, zum Chef oder zur Chefin zu sagen, dass man sich langweilt – letztlich ist so ein Schritt Zeichen für Engagement und den Willen, etwas zu leisten. In der Regel sind Beschäftigte nicht selbst dafür verantwortlich, wenn ihre Arbeit unpassend strukturiert ist. Das Gespräch mit der Führungskraft klappt am besten, wenn man sachlich erklärt, wo das Problem liegt und idealerweise Verbesserungsvorschläge hat – etwa eine andere Organisation, neue Aufgaben, Projekte, an denen man interessiert ist oder, wenn das zur Lebenssituation passt, vielleicht auch kürzere Arbeitszeiten. Ändert sich danach nichts, bleibt der Gang zur Personalabteilung oder zum Betriebsrat. Oder auch der Versuch, intern zu wechseln oder sich gleich einen anderen, interessanteren Job zu suchen. Dabei helfen können Gespräche mit Menschen, denen man vertraut, auch ein Coach oder eine Weiterbildung. Denn gar nicht so wenige Menschen sind irgendwann im Laufe ihres Berufsweges mal falsch abgebogen und dann in der falschen Branche oder beim falschen Unternehmen gelandet. Boreout kann also auch die Chance auf einen Neustart bedeuten.