Kein Doktor für das liebe Vieh

Tierärztemangel als Bedrohung
Veröffentlicht am 11.09.2023
Kein Doktor für das liebe Vieh

Als Tierarzt oder Tierärztin zu arbeiten ist ein attraktiver Beruf, sollte man meinen. Tatsächlich aber fehlt der Nachwuchs, insbesondere für die Versorgung von Nutztieren.

Ach sind die süß! Wer Katzenvideos im Internet sieht, mag sich die Arbeit als Tierärztin oder Tierarzt angenehm vorstellen. Aber natürlich trifft für diesen Bereich der Medizin das gleiche zu wie für die Humanmedizin: Beim Arzt kommen die unangenehmen Seiten auf den Behandlungstisch. Mögen sich Kleintierärzte über das Entleeren der Analdrüsen oder unangenehme Wunden beschweren, so ist die Realität von Veterinär:innen in landwirtschaftlichen Ställen oft eine ganz andere: Schon die Umgebung hat nichts gemein mit Warte- und Sprechzimmern einer Kleintierpraxis. Gummistiefel und Mist an Hose und Jacke gehören beim Stallbesuch dazu. Und manchmal ist es auch nötig, seinen Arm im Hinterteil einer Kuh zu versenken. Das muss man abkönnen, wenn man sich als Tierarzt oder -ärztin auf Großvieh spezialisieren will.

Offensichtlich können oder wollen das immer weniger Menschen. Gerade aus dem landwirtschaftlichen Bereich kommen immer wieder Alarmrufe, der jüngste vom Landvolk Niedersachsen und der niedersächsischen Tierärztekammer. Es drohe ein massiver Nachwuchsmangel und die Versorgung insbesondere von großen Nutztieren sei gefährdet. „Wir sehen mit Sorge, dass das Berufsbild offenbar nicht mehr attraktiv ist und im ländlichen Raum schon jetzt viel zu wenig Tierärzte Nutztiere behandeln oder zu den Betrieben rausfahren können“, sagt Landvolkpräsident Dr. Holger Hennies. Kammerpräsidentin Dr. Christiane Bärsch ergänzt: „Die Tierärzteschaft ist zunehmend jung und weiblich und eher angestellt als selbständig tätig. Das ist eine Entwicklung, die wir schon länger beobachten. Gleichzeitig ist das Interesse an Teilzeitstellen gestiegen und viele Nachwuchskräfte möchten eher in der Kleintierpraxis und/oder im städtischen Raum arbeiten. Wir brauchen aber auch Tiermedizinerinnen und -mediziner, die in Vollzeit und eben auch auf dem Land arbeiten wollen.“

Die Statistiken zeigen ein uneinheitliches Bild: Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Tierärzte in Deutschland ist laut Arbeitsagentur von knapp 9000 im Jahr 2012 auf fast 13.500 im Jahr 2022 um rund 50 Prozent gestiegen. Und diese verdienen immer besser: Der durchschnittliche Bruttojahresverdienst im Veterinärwesen in Deutschland laut statistischem Bundesamt in den Jahren 2007 bis 2021 von 32.319 Euro auf 47.999 Euro gestiegen (angestellte Veterinäre). Die Zahl der Studierenden im Fach Veterinärwesen jedoch sinkt seit mindestens zehn Jahren. Nahmen zum Wintersemester 2010/11 noch 8200 Studierende ihr Studium auf, so waren es im letzten Wintersemester 2022/23 nur noch 7941. Das mag auf den ersten Blick keine großer Rückgang sein, aber weniger Studierende bedeuten nun mal weniger Absolventen. Interessant ist der Blick auf die Erstsemester vor allem in Sachen Frauen-Männer-Verhältnis. Im letzten Wintersemester waren nur rund 14 Prozent der neuen Studierenden im Studiengang Veterinärmedizin Männer. Zehn Jahre zuvor waren es noch gut 15 Prozent Männer. Laut Landvolk und Tierärztekammer Niedersachsen hat sich dieser Geschlechterwandel schon seit Jahrzehnten vollzogen, so waren auch 2007/08 bereits 83 Prozent der Erstsemester weiblich. Das verschärft das Problem für die Agrarwirtschaft, denn Tierärztinnen tendieren laut einer Studie eher dazu, sich nach dem Studium der Behandlung von Kleintieren als von Nutztieren zu widmen. In Nutztierpraxen zieht es eher die Männer, weshalb deren niedriger Anteil an den Studierenden des Faches die veterinärmedizinische Nutztierversorgung tendenziell verschlechtert. Klagen über fehlende Nutztierärzte hört man übrigens nicht nur aus Norddeutschland, sondern beispielsweise auch von Bernhard Bolkart, dem Präsidenten des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbandes in Freiburg, oder vom Tierärzteverband Bayern.

Schnelle Lösungen wird es nicht geben, aber es gibt verschiedene Stellschrauben, an denen gedreht werden kann und muss. So fordert der Tierärzteverband Bayern die Zulassung zum Studium zu erleichtern und berufliche Vorqualifikationen höherer zu bewerten. Ebenfalls helfen könnten Förderprogramme, Bürokratieabbau und insgesamt bessere Rahmenbedingungen. Dazu gehört sicherlich die deutliche Erhöhung der Gebührenordnung für Tierärzte Ende 2022, über die sich viele Landwirte natürlich nicht gefreut haben. Das ist verständlich, aber wenn Veterinäre nicht genug verdienen, wird sich deren Mangel verschärfen. Zudem sorgt die Konzentration in der Landwirtschaft bei den Tierärzten dazu, dass ihr Einzugsgebiet immer größer wird und dadurch beispielsweise die Fahrzeiten zunehmen. Die Agrarwirtschaft selbst wird das Problem kaum lösen. Nur die wenigsten Betriebe dürften es sich leisten können, einen eigenen Tierarzt zu beschäftigen, für den durchschnittlichen Hof ist das unvorstellbar. Aber man kann natürlich versuchen, sich noch häufiger als heute schon selbst zu helfen. Auch Landvolk und Tierärztekammer in Niedersachsen haben vereinbart, gemeinsame Schulungen für den Umgang mit kranken und verletzten Tieren im Sinne des Tierschutzes für Landwirtinnen und Landwirte anzubieten. Und sicherlich ist es sinnvoll, eine gute Beziehung mit den Veterinären in der Gegend zu pflegen, gerade dort, wo die Knappheit bereits spürbar ist.