Hilfe für die Landwirtschaft
Dass die Agrarwirtschaft seit Jahren und Jahrzehnten in einer großen Transformation steckt, muss den Praktikern und Praktikerinnen auf den Höfen niemand erklären. Das spüren sie in ihrem Arbeitsalltag, der geprägt ist vom Preisverfall für ihre Produkte, Arbeitsverdichtung und dem Druck der Weltmärkte. Der Klimawandel und das von ihm beeinflusste, immer herausfordernde Wetter setzt dem die Krone auf. Und als würde das nicht schon reichen, um Stress zu erzeugen, sind zuletzt viele weitere Probleme hinzugekommen: Corona-Krise, Ukraine-Krieg mit Energiepreisschock und Inflation, Material- und Arbeitskräftemangel. Bis hierhin ähnelt die Situation noch der in vielen anderen Branchen. Der produzierende Teil der Agrarwirtschaft unterscheidet sich aber von den allermeisten anderen Wirtschaftszweigen: Hier greifen die beiden sonst eher getrennten Systeme Betrieb und Familie sehr eng ineinander, Arbeits- und Privatleben sind miteinander verzahnt. Das kann schnell zur gegenseitigen Beeinflussung der betrieblichen und familiären Sphäre führen und die Belastungen der Landwirtinnen und Landwirte verstärken. Wenn der im Betrieb eigentlich noch mithelfende Altbauer wegen Long Covid ausfällt, die ukrainischen Erntehelfer an der Front statt auf dem Erdbeerfeld sind und gleichzeitig nicht nur das eigene Essen, sondern auch der Sprit für die Maschinen und der Strom für den Hof teurer werden, dann kann einem die Verzweiflung über den Kopf wachsen.
Um in dieser Situation Unterstützung zu ermöglichen erarbeitet eine Projektgruppe des Verbands der Landwirtschaftskammern Grundlagen für eine sozioökonomische Beratung. Daran arbeiten Beratungskräfte aus Landwirtschaftskammern, Landesanstalten und weiteren Einrichtungen mit. Die LWK Niedersachsen und der Bayerische Bauernbund kooperieren mit der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) in zwei Pilotprojekten zur sozioökonomischen Beratung. Die SVLFG hat bei einem Symposium im Mai 2023 seelische Gesundheit und psychische Belastungen in der grünen Branche zum Thema gemacht. Immer öfter fragen Menschen aus der Branche wegen hoher psychischer Belastung, mit Depressionen und Burnout oder gar wegen Suizidgedanken nach Hilfe. Laut SVLFG verschieben sich die Belastungen in der Landwirtschaft von der körperlichen immer stärker auf die psychische Ebene. Die SVLFG hat daher bereits entsprechende Vorbeuge-Programme und Hilfestellungen im Programm.
In den beiden Pilotprojekten in Bayern und Niedersachsen werden seit 2020 bzw. 2021 jeweils zehn Stunden Mediation und/oder Intervention durch speziell geschulte Beraterteams angeboten, deren Kosten die SVLFG trägt, nach den maximal zwanzig Stunden kann das Angebot als Selbstzahler weiter genutzt werden. Laut dem Zwischenbericht der noch bis 2024 laufenden begleitenden Evaluation haben 342 Personen bis Anfang 2023 Hilfsangebote in Anspruch genommen, zu 68 Prozent Männer und zu jeweils 80 Prozent Unternehmerinnen und Unternehmer mit Betrieben größer als 30 Hektar. Über 80 Prozent von ihnen haben Anzeichen einer klinischen Depression, so die Evaluation – in der Gesamtbevölkerung zeigen das je nach Alter im Durchschnitt nur 12 bis 26 Prozent. 85 Prozent der Teilnehmer zeigten sich zufrieden mit dem Hilfsangebot und 90 Prozent gaben an, die Berater hätten sie ernst genommen und verstanden. Immerhin 44 Prozent wollen als Selbstzahler die Beratung weiter in Anspruch nehmen.
Die Beraterinnen und Berater haben eine spezielle Ausbildung erhalten, sind vertraut mit der Situation landwirtschaftlicher Familien und Betriebe und arbeiten natürlich strikt vertraulich. Ihr Ziel ist das Erreichen einer höheren Resilienz, also Widerstandskraft, gegen die Belastungen. Die Beratung folgt einem akzeptierenden und lösungsorientierten Ansatz und greift in der Beratung auf vielfältige Methoden zurück.
SVLFG-Kampagne „Mit uns im Gleichgewicht“ zur Stärkung der seelischen und körperlichen Gesundheit
https://www.svlfg.de/gleichgewicht
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