You are here

Frauenmangel an der Spitze

In der Agrarwirtschaft kommen Männer leichter in Top-Positionen als weibliche Kräfte und verdienen mehr, zeigt eine Studie des VDL.
Veröffentlicht am 23.02.2021

Bienen gehören zu den wenigen Spezies, bei denen das Geschlechterverhältnis in der Population von großer Ungleichheit geprägt ist: Auf 40.000 bis 60.000 weibliche Honigbienen kommen lediglich einige Hundert männliche, nach der Kopulation sterben sie. Beim Menschen ist das zum Glück nicht so, dennoch lässt die Arbeitswelt manchmal an ein Bienenvolk denken. Denn das ausgewogene Geschlechterverhältnis verändert sich dort stark – allerdings zu Ungunsten der Frauen.

Wenige Agrar-Betriebsleiterinnen

Laut der im Dezember 2020 erschienenen Studie „Frauen in Führungspositionen in den Bereichen Agrar, Ernährung und Gartenbau“ des VDL Berufsverband Agrar Ernährung und Gartenbau sind in der Land- und Forstwirtschaft 36 Prozent der Beschäftigten weiblich. In der ersten Führungsebene beträgt ihr Anteil aber nur 19 Prozent. Die Befragung erfolgte mittels Online-Fragebogen, der von einem Team rund um Prof. Dr. Jens-Peter Loy vom Lehrstuhl für Marktlehre am Institut für Agrarökonomie der Christian-Albrechts-Universität in Kiel erstellt und ausgewertet wurde. 853 Personen haben daran teilgenommen, drei Viertel der Teilnehmerinnen sind weiblich.

Die Agrarbranche zeigt ein ähnliches Verhältnis wie der Schnitt aller deutschen Branchen. Dort beträgt der Anteil der Frauen an den Beschäftigten 44 Prozent, an der ersten Führungsebene 22 Prozent. Dabei ist der Anteil der Frauen in der zweiten Führungsebene der Land- und Forstwirtschaft mit 56 Prozent sogar überproportional hoch. Aber in der ersten Führungsebene und im Top-Management kommen Frauen offensichtlich nicht an. Die auch „gläserne Decke“ genannte Aufstiegsbarriere ist hier offenbar sogar noch dicker als im Durchschnitt der Wirtschaft, denn in landwirtschaftlichen Betrieben gibt es mit knapp 10 Prozent einen auffallend niedrigen Anteil an Betriebsleiterinnen, wie weiter aus der Studie hervorgeht. Im Rest der Wirtschaft führen Frauen fast jedes fünfte Unternehmen.

Es fehlt an weiblichen Vorbildern

Frauen sind in der Wirtschaft und der Agrarwirtschaft nicht nur seltener in Führungspositionen als Männer, sie verdienen auch schlechter. Der Gender Pay Gap beträgt im Durchschnitt etwa 25 Prozent. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass Frauen überdurchschnittlich häufig in Branchen arbeiten, die insgesamt schlecht zahlen. Aber auch wenn man diesen Effekt und andere Erklärungsfaktoren herausrechnet, beträgt die Verdienstlücke zwischen den Geschlechtern noch immer 6 Prozent. Die Befragung des Berufsverbandes VDL hat dieses Ergebnis auch für das deutsche Agribusiness festgestellt.

Diese Fakten passen erstaunlich schlecht zu den Einschätzungen, die die Befragten geäußert haben. So verneinen etwa die meisten Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Befragung, dass Männer bei der Auswahl für Positionen bevorzugt würden und das Auswahlsystem bei Bewerbungen nicht transparent sei. Und für das eigene Unternehmen werden diese Fragen noch mal positiver beantwortet als im Durchschnitt. Die Antworten aus dem Agribusiness unterscheiden sich bei diesen Einschätzungen nur unwesentlich von denen anderer Wirtschaftsbereiche. Befragt nach den Gründen für den niedrigen Frauenanteil, spielen Eignung und Qualifikation keine wesentliche Rolle. Stattdessen werden das Fehlen weiblicher Vorbilder, zu viele nicht karrierefördernde Aufgaben sowie die von Männern dominierten Netzwerke genannt. Außerdem die Unvereinbarkeit von Teilzeit sowie Familie und Karriere und die geringe Anerkennung der Leistungen von Frauen.

Gender-Schulungen sind hilfreich

Im Agribusiness bietet laut der VDL-Studie bislang nur jedes fünfte private Unternehmen gezielte Maßnahmen an, mit denen Frauen in Führungspositionen gefördert werden sollen. In der Befragung wurden vor allem Fortbildungen, verbesserte Kinderbetreuung, Mentoring, Teilzeitführungspositionen und Homeoffice sehr häufig als wünschenswert genannt. Auch Coaching, Flexibilität in Bezug auf die Arbeitszeit, Frauennetzwerke und Stärkung des Selbstvertrauens von Frauen wurden häufig als hilfreich bewertet, gefolgt von Frauenquoten, Genderschulung für Männer und Vorgesetzte sowie Kommunikationstraining für Frauen. Immerhin 33 Prozent der Befragten plädieren für eine verbindliche Frauenquote.

Seit 2015 ist das Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in Kraft, es verpflichtete die 100 größten deutschen Unternehmen, zumindest ihren Aufsichtsrat zu 30 Prozent mit Frauen zu besetzen. Für rund 3 500 weitere Unternehmen galt seither die Pflicht zur eigenen Zielvorgabe. Ende 2020 wurde dieses Gesetz in einer zweiten Version erneuert und erweitert – aus der Selbstverpflichtung wurde eine „Soll“-Bestimmung, nach der in den Vorständen von börsennotierten sowie von paritätisch mitbestimmten Unternehmen mindestens eine Frau sein muss.