Per Testbewerbung den eigenen Marktwert ermitteln?

Sie ist Thema in Gesprächen und Internetforen: Die Testbewerbung zur Ermittlung des eigenen Marktwertes. Aber kann dieser Tipp Angestellten wirklich ein Karrierebooster sein?
Veröffentlicht am 08.02.2023
Per Testbewerbung den eigenen Marktwert ermitteln?

„Bewirb dich einfach mal“ ist ein gar nicht selten zu hörender oder lesender Ratschlag, wenn es um die Karriere und den sogenannten „Marktwert“ auf dem Arbeitsmarkt geht. Die Logik dahinter ist einfach: Aus den Reaktionen auf eine Testbewerbung lassen sich Rückschlüsse ziehen, wie gefragt die eigenen Kenntnisse und Erfahrungen sind. Man kann sich einen Eindruck davon verschaffen, ob ein Wechsel des Arbeitgebers einfach oder schwer wird und ob er sich finanziell oder für die Entwicklung der Karriere lohnt.

Allerdings: Wird die Testbewerbung nicht ebenso ernsthaft vorgenommen wie jede andere, sinkt ihre Aussagekraft. Ergo macht eine Testbewerbung den gleichen Aufwand wie eine ernstgemeinte und das sollte zu denken geben. Sich vorher die Frage nach Nutzen und Aufwand zu beantworten, ist kein Fehler. Zudem gibt es bei einer Testbewerbung noch mehr zu bedenken als bei einer „richtigen“.

Zuerst sollten Beschäftigte sich fragen, was sie herausfinden möchten und ob das möglich ist. Eine Bewerbung ist kein objektives Ranking – warum keine Einladung zum Vorstellungsgespräch oder zumindest eine ernsthaft interessierte Rückmeldung vom Unternehmen kommt, ist nicht transparent. Es kann daran liegen, dass mein Profil eben doch nicht so interessant oder gut ist oder meine Gehaltsvorstellung doch zu hoch. Es können aber auch viele andere Gründe sein, die mit meiner Person überhaupt nichts zu tun haben.

Geht es um das Gehaltsniveau, erscheint eine Testbewerbung nicht nur als eingeschränkt aussagekräftig, sondern auch als zu aufwändig. Denn es gibt viele Quellen, die schneller ausgewertet werden können: Das eigene Netzwerk, Tarifverträge, Gehaltsvergleiche, Foren und Bewertungsportale für Arbeitgeber oder auch Branchenverbände geben oft schneller und valider Auskunft.

Und es lohnt sich, mögliche Nachteile zu bedenken. Wenn eine Testbewerbung zum Erfolg führt, also zum Vorstellungsgespräch oder Jobangebot, dann wird man per Absage reagieren, wenn die Bewerbung nur ein Test war. Das kann negativ auf einen zurückfallen, wenn es sich herumspricht oder man sich später einmal ernsthaft bei dem Unternehmen bewerben will. Vergessen Sie auch nicht die vielleicht unwahrscheinlich wirkenden, aber eben doch möglichen Zufälle: Chefin, Recruiter oder Abteilungsleiterin in dem Unternehmen, an das Sie eine Testbewerbung senden, kennt jemanden aus Ihrem Betrieb. Oder bekommt nach einem Jobwechsel an anderer Stelle erneut eine Bewerbung von Ihnen in die Finger.

Schließlich stellt sich die Frage, warum jemand eigentlich seinen Marktwert testen will, wenn er oder sie glücklich und zufrieden mit seiner jetzigen Position ist? Ein paar grundsätzliche Überlegungen und Entscheidungen zur künftigen Karriere sollten also durch sein, bevor man über eine Testbewerbung nachdenkt. Und dann ist da ja auch noch der moralische Aspekt: Schließlich verursacht jede Bewerbung eine Menge Arbeit auch beim Unternehmen, dass die Stelle ausgeschrieben hat. Und wirkt sich möglicherweise auch auf Chancen von Bewerbern und Bewerberinnen aus, die ernsthaft interessiert sind.

Deshalb erscheint eine Testbewerbung dann am ehesten sinnvoll, wenn der Entschluss, im jetzige Unternehmen zu bleiben, doch nicht so ganz unumstößlich ist. Mit einem konkreten Jobangebot eines anderen Unternehmens verhandelt es sich gleich viel offensiver, etwa über Gehalt oder berufliche Weiterentwicklung. Und auch dann, wenn sich das eigene Profil geändert hat, beispielsweise durch zusätzliche Ausbildungen, eine aufwändige Fortbildung oder wichtige neue Berufserfahrungen. Auch kann eine Testbewerbung sich positiv auf das Selbstbewusstsein auswirken und so die eigene Verhandlungsposition psychologisch stärken. Allerdings natürlich auch schwächen, wenn der Test eben kein positives Feedback hervorbringt. Ein zweischneidiges Schwert also.