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„Kollege Roboter und Mensch werden koexistieren“

Die digitale Transformation wird dazu führen, dass Standardprozesse in der Agrarbranche, für die keine hohe Qualifikation erforderlich ist, von Robotern ausgeführt werden. Frauen werden in den obersten Führungsetagen mehr als die Hälfte der Spitzenkräfte stellen, und heutige Nischen wie Aquaponik werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Das erwarten Brigitte Schwalen und Stefan Krämer vom Agrarkarriere-Portal Agrobrain.
Veröffentlicht am 12.08.2021
„Kollege Roboter und Mensch werden koexistieren“

agrarzeitung: Wir schreiben das Jahr 2046: Wie ist der Anteil von Frauen in den Geschäftsführungs- und Vorstandsetagen der Agrarwirtschaft?

Brigitte Schwalen: Im Jahr 2046 wird der Frauenanteil in den Geschäftsführungs- und Vorstandsetagen der Agrarwirtschaft bei 55 Prozent liegen. Die Unternehmen sind gut beraten mit einer ausgewogenen Besetzung von Männern und Frauen in der Unternehmensführung. Denn es besteht gar kein Zweifel: Unternehmen mit gemischten Teams, auch Führungsteams, sind wirtschaftlich erfolgreicher und als Arbeitgeber attraktiver.

az: Sie sind also optimistisch, dass sich diese Erkenntnis in 25 Jahren auch in der Realität niedergeschlagen haben wird.

 

Schwalen: Das bin ich: Frauen sind gut qualifiziert, leistungsstark, karriereorientiert und haben ein gutes Gespür für die jeweilige sich entwickelnde Situation. Sie stellen mehr als die Hälfte der Hochschulabsolventen und damit die Mehrheit des potenziellen Fach- und Führungskräftenachwuchses. Studien der EU belegen, dass ein ausgewogener Mix der Geschlechter, aber auch der Generationen und Kulturen, die Mitarbeitermotivation und die Kundenzufriedenheit positiv beeinflusst und ein attraktives Unternehmensimage unterstützt.

az: Welche Berufsfelder dominieren die Branche – hat der klassische Agrarhändler ausgedient und der Agrar-IT-Ingenieur die Branche erobert?

Stefan Krämer: Ich sehe ganz klar einen Markt für ausgebildete IT-ler, die dringend in unserer Branche auch benötigt werden, weil der Bedarf auch heute schon da ist. Aber es ist auch so, dass Landwirte immer mehr Wert legen auf individuelle Betreuung ihres Betriebes. Daher wird es eine Mischung geben aus klassischen agrarischen Berufsfeldern und IT-lern. Auf der einen Seite wird es digitale und automatisierte Lösungen geben, die das Standardgeschäft und den ganz normalen Tagesbedarf des Kunden abbilden. Auf der anderen Seite wird es weiterhin den klassischen Vertriebler geben, der aktiv den Kunden beraten wird. Landwirtschaft ist und bleibt ein Geschäft zwischen Menschen.

az: Sie sprechen von automatisierten Standardprozessen: Wird der „Kollege Roboter“ Arbeitsplätze in großem Stil vernichten?

Krämer: Ich glaube schon, dass ein guter Teil an Jobs durch den Kollegen Roboter ersetzt werden wird. Wir sehen das bereits in der Landtechnikindustrie an selbstfahrenden Fahrzeugen. Kollege Roboter wird weniger qualifizierte Jobs erledigen, zum Beispiel Fahrer von Maschinen oder in der automatisierten Getreideannahme. Wir werden also erleben, dass Kollege Roboter bei standardisierten Arbeiten zum Einsatz kommt. Dort, wo Werte und Beziehungen eine Rolle spielen, gibt es andere Anforderungen, die nur Menschen erfüllen können. Daher gehe ich von einer Koexistenz von Kollege Roboter und dem Menschen aus.

az: Wie beliebt sind landwirtschaftliche Berufe in 25 Jahren im Vergleich zu anderen Jobfeldern?

Schwalen: Auch wenn die Agrarbranche abhängig ist von einer stabilen weltpolitischen Lage, von agrarpolitischen Entscheidungen und vom Wetter, sind Agrarberufe sehr gefragt. Dies hat die Coronakrise gezeigt. Viele Bewerber aus nicht systemrelevanten Berufen wollten in der Agrarbranche tätig werden. So mancher hat jedoch eine falsche Wahrnehmung und denkt, im Agrarbereich könne jeder anheuern. Dem ist bei Weitem nicht so, vor allem nicht, da der Trend allgemein zu einer 35-Stunden-Woche und wesentlich mehr Freizeit geht, was in der Agrarbranche undenkbar ist. Das Wichtigste ist jedoch, dass das Know-how in landwirtschaftlichen Berufen stimmen muss, sonst ist ein Arbeiten in diesen Bereichen fast nicht möglich – dies wird von vielen Bewerbern unterschätzt.

az: Kommen wir zur politisch geforderten Extensivierung und Ökologisierung der Landwirtschaft: Werden 2046 noch gezielt Ökolandwirt:innen ausgebildet oder sind die beiden Pole Öko versus Konventionell aufgrund der insgesamt steigenden Nachhaltigkeitsvorgaben Geschichte?

Schwalen: Eine Kombination aus Öko und Konventionell ist der richtige Weg. Konventionelle Landwirte sind sehr interessiert an Tierwohl und Umweltschutz, nur sollte dies auch in einem Gleichgewicht zum Machbaren stehen. Solange die ökologische Landwirtschaft so extrem gefördert wird wie heute, werden auch Ökolandwirt:Innen ausgebildet. Ist dies nicht mehr so, wird es für die Ökobetriebe schwierig sein, von ihren im Vergleich zur konventionellen Wirtschaftsweise geringeren Erträgen zu leben. Ein Großteil der Verbraucher mag sich zwar ökologische Landwirtschaft als Idealbild wünschen, jedoch möchte niemand die Mehrkosten dieser Produktionsweise bezahlen.

 

 

 

 

Welchen Stellenwert haben heutige Nischenbereiche wie Aquaponik in der Agrarwirtschaft in 25 Jahren? Schwalen: Aquaponik wird mit Sicherheit einen immer größeren Stellenwert aufgrund des Klimawandels erhalten. Ich denke da an die Erwärmung des Golfstromes, die für die Fischfangregionen und die Natur bedrohliche Maße annimmt. Aquaponik wird ein Konzept für die Zukunft sein, das Fachkräfte-Angebot wird daher geschaffen werden müssen.

az: Wie sieht es mit Vertical Farming, also der vertikalen Landwirtschaft im urbanen Raum, aus?

Schwalen: Vertical Farming ist ein gutes Konzept, jedoch mit einigen Stolpersteinen: Wie wird der Strom für die Beleuchtung entstehen? Reicht eine künstliche Beleuchtung aus, um die Fotosynthese zu sichern? Wie viele Pumpen – auch mit Strom betrieben – werden benötigt, um die Bewässerungen zu gewährleisten. Wie wird ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis abgebildet? Hier zeigt sich ein genereller Widerspruch in der gesellschaftlichen Debatte: Man möchte kein Windrad, kein Atomkraftwerk, keine Biogasanlage – aber man möchte immer mehr stromintensive Technologien.

az: Manche Experten sagen Fleisch aus dem Reagenzglas, dem In-vitro-Fleisch, einen Siegesug voraus: Teilen Sie bei Agrobrain diese Einschätzung?

Krämer: Grundsätzlich steht die Entwicklung heute noch sehr am Anfang. Es wird aber in allen Bereichen der Landwirtschaft zu erheblichen Veränderungen kommen. Die Weltbevölkerung wächst im Vergleich zur landwirtschaftlichen Nutzfläche stark an. Ich bin überzeugt, dass In-vitro-Fleisch in den kommenden 25 Jahren einen Marktanteil von Minimum 15 Prozent in Deutschland haben wird: Stichwort CO2-Reduktion, Stichwort ‚Der gesellschaftliche Wunsch nach mehr Tierwohl‘. Es kommt unterm Strich darauf an, wie der Verbraucher dieses Angebot annimmt.

az: Passt denn das Fachkräfte-Angebot in 25 Jahren zu diesen wachsenden Nischen-Berufsfeldern?

Schwalen und Krämer: Vom Grundsatz her entstehen völlig neue Jobs, die im klassischen Agrarmarkt heute noch nicht Alltag sind. In den nächsten Jahren werden etliche neue Berufsfelder zu besetzen sein. Ich denke, dass die Berufsfelder von Branchenfremden besetzt werden, da wir feststellen, dass diese Kräfte die nötigen Kompetenzen mitbringen – und auch mit weniger Emotionalität zur althergebrachten landwirtschaftlichen Praxis und mehr Experimentierfreude an diese innovativen Felder herangehen. Das gesamte Kompetenzfeld wird nur dann mit Branchenkennern ausgestattet, wenn wir in den kommenden Jahren innerhalb der Studiengänge an den Agrarfakultäten feststellen, dass die Inhalte solcher künftigen Tätigkeitsfelder in den Studiengängen gelehrt werden.

Interview agrarzeitung: Stefanie Pionke